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Projekttitel
ERSTE SCHRITTE – Ein Integrationsprojekt für Kleinkinder mit Migrationshintergrund
Akronym: Erste Schritte
Projektbeschreibung
Was ist das Projekt ERSTE SCHRITTE?
Das Projekt ERSTE SCHRITTE soll die soziale Integration von Kleinkindern aus Familien mit Migrationshintergrund nachhaltig unterstützen.
Die Integration von Kindern mit Migrationshintergrund ist zu einer der vordringendsten gesellschaftlichen Aufgaben geworden. Sie sind in unseren Bildungsinstitutionen immer noch benachteiligt. Erfreulicherweise wird in den letzten Jahren sowohl in der Öffentlichkeit als auch von Fachleuten vermehrt gefordert, Eltern und Kinder mit Migrationshintergrund so früh wie möglich zu unterstützen. Im Rahmen des interdisziplinären Forschungszentrums IDeA der Exzellenzinitiative des Landes Hessen bietet das Sigmund-Freud-Institut in Zusammenarbeit mit dem Anna-Freud-Institut (vormals: Institut für Analytische Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie) eine solche Unterstützung an.
Verschiedene Integrationskursanbieter in Frankfurt wurden für diese Förderung ausgewählt. In diesen Institutionen wird das Präventionsprojekt ERSTE SCHRITTE angeboten, um die Entwicklung von Kindern und ihre sozialen Fähigkeiten zu unterstützen und zu stärken.
In Berlin – seit 2013 als weiterer Standort hinzugekommen – setzen wir in einer der größten deutschen Geburtskliniken (Vivantes Klinikum Neukölln) an.
Das Projekt fördert die frühe Elternschaft und die Entwicklung der Kinder von der Geburt bis zum Kindergarteneintritt. Viele Studien haben gezeigt, dass Kinder, die in den ersten Lebensjahren eine gute Förderung erhalten haben, im Kindergarten und in den ersten Schuljahren größere soziale, kognitive und sprachliche Fertigkeiten aufweisen als Kinder ohne eine solche Unterstützung. Sie können sich besser in den Kindergarten und in die Schulklasse einbringen und Konflikte lösen. ERSTE SCHRITTE fungiert als Modellprojekt und wird wissenschaftlich begleitet.
Ein Forschungsprojekt mit Vergleichsgruppendesign
Das Projekt ist als eine prospektive, randomisierte Studie mit Vergleichsgruppendesign angelegt. Wir vergleichen ERSTE SCHRITTE (A) mit sogenannten „Elterntreffs“ (B).
Angebot A: ERSTE SCHRITTE
Unsere wöchentlichen Gruppenangebote (A) sind so gestaltet, dass sie einem sozialen Rückzug nachhaltig entgegenwirken. Sie sind auf die spezifischen Bedürfnisse von Müttern/Vätern mit Kleinkindern abgestimmt. Psychoanalytisch geschulte Projektmitarbeiterinnen nehmen über die Integrationskursanbieter oder die Klinik Kontakt mit Schwangeren und jungen Müttern auf und bieten ihnen vielfältige Unterstützung an. Nach der Geburt werden die Frauen in Gruppen und/oder in individuellen Gesprächen beraten. Die Kinder werden bis zum Kindergarteneintritt in den Gruppen altersspezifisch in ihrer Entwicklung gefördert. Die Eltern werden dabei unterstützt, ihren Kindern eine möglichst gute Entwicklung zu ermöglichen. Die Konzepte unserer „Elternschule“ – eines Curriculums – basieren auf psychoanalytischen Entwicklungstheorien und empirischen Befunden aus der Säuglings- und Bindungsforschung. Zudem soll durch die professionelle Begleitung und Unterstützung früher Beziehungserfahrungen die Integration von Familien mit Migrationshintergrund nachhaltig verbessert werden.
- Bausteine von ERSTE SCHRITTE im Überblick
- Wöchentliche Gruppentreffen mit psychoanalytischer „Elternschule“
- Einzelkontakte (u.a. Hausbesuche)
- Regelmäßige Supervision, Praxisreflexion und Curriculum für die Gruppenleiterinnen
Angebot B: „Elterntreffs“
Bei den „Elterntreffs“ (B) handelt es sich um von ehrenamtlichen Laienhelferinnen mit Migrationshintergrund geleitete Gruppen. Die Frauen treffen sich mit ihren Kindern regelmäßig, tauschen sich zu verschiedenen Themen aus und können so Freundschaften schließen. Damit nahmen wir einen gegenwärtigen Trend auf, gut integrierte MigrantInnen als Laienhelfer einzusetzen.
Hintergrund des Projekts
Für die Integration von Kindern mit Migrationshintergrund in die deutsche Gesellschaft gibt es zahlreiche Projekte, die meist beim Erlernen der deutschen Sprache ansetzen. Systematische, wissenschaftlich begleitete Integrationsprojekte, die die Optimierung der ersten Umwelt- und Beziehungserfahrungen von Kleinkindern mit Migrationshintergrund zum Ziel haben, gibt es in Deutschland dagegen bisher kaum.
Neurobiologische, epigenetische und empirische Befunde psychoanalytischer Säuglings- und Bindungsforschung stimmen darin überein, dass die ersten Umwelt- und Beziehungserfahrungen einen entscheidenden Einfluss auf die spätere kognitive, affektive, sprachliche und soziale Entwicklung von Kindern haben. So zeigen Kleinkinder, die in einem positiven und emotional sicheren Umfeld aufwachsen, weniger destruktiv-aggressive Verhaltensweisen und entwickeln sich sprachlich und sozial besser. Sie können im Kindergartenalter kreativer Probleme lösen, zeigen größere Neugier und ein ausgeprägteres Interesse an ihrer Umwelt.
Es ist daher davon auszugehen, dass Hilfestellungen, die bei den frühen Beziehungserfahrungen von Kindern mit Migrationshintergrund ansetzen, ihre Integration nachhaltig verbessern.
In zahlreichen Studien hat sich gezeigt, dass die Empathie der Eltern die wichtigste Variable bei der Entwicklung der kindlichen Bindung darstellt. Empathie ist eine Fähigkeit, die bei den meisten Eltern vorhanden ist, sich allerdings als störanfällig erweist: Krankheiten, Stress, aber auch das Gefühl des Alleingelassenseins und der Isolation, wie es im Zusammenhang mit Migration oft auftritt, können diese Fähigkeit beeinträchtigen. Migration kann eine belastende Erfahrung sein, besonders in der vulnerablen Zeit kurz nach einer Geburt; auch weil ein unterstützendes Umfeld, z.B. durch die eigenen Eltern, für die junge Familie oftmals fehlt. Die Gefahr der sozialen Isolation bis hin zu einem Rückzug in eine Parallelgesellschaft ist in dieser Situation besonders groß. Daher gehört es zu den Zielen des Projektes, die Empathiefähigkeit der Eltern mit Migrationshintergrund systematisch zu fördern und dabei mögliche Loyalitäts- und Identitätskonflikte zwischen Ursprungskultur und Einwanderungsland zu berücksichtigen.
Hypothese und Ziele des Projekts
Die Projekthypothese lautet, dass das Präventionsangebot ERSTE SCHRITTE (A), das mit Hilfe eines Curriculums die Kompetenzen der frühen Elternschaft systematisch fördert und durch psychoanalytisch geschulte MitarbeiterInnen die individuellen Bedürfnisse der Mütter/Väter und Kinder berücksichtigt, hinsichtlich der Integration von Müttern/Vätern und Kindern mit Migrationshintergrund wirksamer ist als nicht-professionell moderierte, von Laien geleitete „Elterntreffs“ (B).
Ziel von ERSTE SCHRITTE ist es, ein Integrationsprojekt für Kleinkinder mit Migrationshintergrund anzubieten, das
- Wissenschaftlich nachweisbar die nachhaltige Integration von Kleinkindern mit Migrationshintergrund und ihrer Müttern verbessert; u.a. gemessen an besseren Deutschkenntnissen, weniger Stress der Kinder beim Eintritt in den Kindergarten, der (sozial-emotionalen) Entwicklung der Kinder sowie dem Deutschsprachniveau und der Abschlussquote der Integrationskurse ihrer Mütter
- Sich besonders auf die Risikogruppe der akuten Migrantinnen und Migranten sowie Flüchtlinge konzentriert und
- als Modellprojekt angelegt ist, das sich auch auf andere Standorte übertragen lässt, wenn es sich als wirksam erweist.
Forschungsdesign / Untersuchungsmethoden
ERSTE SCHRITTE untersucht in einem prospektiven randomisierten Vergleichsgruppendesign zwei Frühpräventionsangebote zur Integration von Kleinkindern (0-3 Jahre) mit Migrationshintergrund in Frankfurt/Main und Berlin. Forschungsziel ist die Evaluation der Kurz- und Langzeitwirkungen der Präventionsangebote A und B über mehrere Messzeitpunkte hinweg. Es wurde ein multiperspektivisches methodisches Vorgehen gewählt.
Folgende Instrumente werden eingesetzt:
- BAMF-Fragebogen: Fragebogen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (2008)
- Halbstandardisierter Geburtsleitfaden (GLF, von der Forschergruppe entwickelt)
- Heidelberger Belastungsskala (HBS-L; Stasch, 2007)
- Emotional Availability Scales (EAS, Biringen, 2008)
- Bayley Scales of Infant Development II (Reuner, G., Rosenkranz, J., Pietz, J. & Horn, R., 2007)
- Allgemeine Depressionsskala (ADS, Hautzinger & Bailer, 1992)
- Everyday Stressors Index (ESI, Jaekel & Leyendecker, 2008)
- Strengths and Difficulties Questionnaire (SDQ, Goodman, 1997)
- Linguistische Sprachstandserhebung – Deutsch als Zweitsprache (LiSe-DaZ, Schulz & Tracy, 2011)
- Manchester Child Attachment Story Task (M-CAST, Green, Stanley, Smith & Goldwyn, 2000)
- Bestimmung des Haarcortisollevels kurz vor und nach Kindergarteneintritt.